Donnerstag, 17. April 2014

Side by Side - Bericht und Forschungsergebnisse zum Comic aus dem Forum Wissenschaftskommunikation

Kann ein Comic die vielschichtigen wissenschaftlichen Fakten und die kontroversen Debatten eines so komplexen Themas wie des Klimawandels transportieren?
Ein klares »Ja!« gab Reinhold Leinfelder in seinem Vortrag als Antwort. Das von ihm mit herausgegebene Buch »Die große Transformation« fasst die mehr als 400 Seiten Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) als Graphic
Novel verständlich zusammen. Und mehr als das: Das Buch soll Bürgerinnen und Bürger mitnehmen – also weg vom Top-Down der klassischen politischen Kommunikation hin zu einem Side-by-Side.
»Unser Anspruch war es, wissenschaftlich korrekt zu sein, Mut zu machen, Lösungen zu zeigen und auf diese Weise den Gesellschaftsvertrag ansatzweise zu erklären«, sagte Leinfelder, der als einer von neun Experten auch selbst im Comic auftaucht. Eine Herausforderung ist dabei, weder relativierend noch alarmistisch oder missionarisch daherzukommen.
Die Herausgeber, zu denen neben Leinfelder auch die beiden Ideengeberinnen Alexandra Hamann und Claudia Zea-Schmidt zählen, hatten (ausgehend von den »Sinus-Milieus«) als Adressaten Menschen im Blick, die das Gutachten normalerweise eher nicht zur Hand nehmen würden. »Wir wollen zu Interaktion und Partizipation anregen«, erklärte Leinfelder. Der Comic zeigt daher anhand authentischer Persönlichkeiten, wie Forschung entsteht, und anhand verschiedener Szenarien die Abhängigkeiten zwischen Erkenntnissen und Überzeugungen. Alltägliche Arbeitssituationen – in der Universität, im Büro oder in der Natur – vermitteln Fakten und Standpunkte. Dazu tragen auch das ausführliche Glossar und umfang reiche Fußnoten bei. Der Comic fasst Geo- und Klimawissenschaft, Wirtschaft, Technik, Politik und Alltagskultur zusammen und greift verschiedene Ansätze zu nachhaltigem Leben und Wirtschaften auf. Manche muten zunächst ungewohnt an: In Afrika isst man Insekten – nachhaltiger als Viehzucht ist das allemal, wenn auch gewöhnungsbedürftig.

Populär und permanent

Das Genre »Graphic Novel« bringt für diese Art der Kommunikation wichtige Voraussetzungen mit. Comics sind populär, sie motivieren und visualisieren. Ihre Inhalte sind im Gegensatz zu Filmen permanent verfügbar und verknüpfen Bild und Text. Damit stehen Comics in der langen Tradition von Text-Bild-Werken wie dem Teppich von Bayeux oder der Trajanssäule, die Leinfelder als Beispiele nannte.
Sie regen Leserinnen und Leser dazu an, selbst mitzudenken, also Text und Bilder im »Kopfkino« zusammenzusetzen und damit selbst zu aktiven »Erschaffern von Bedeutung« zu werden.
Doch in dem Projekt ging es um mehr als das Buch selbst. Flankierende Forschung begleitete die Arbeit. Die Wirkung der »großen Transformation« wurde umfassend evaluiert. Die Ergebnisse einer Online-Umfrage und die Resonanz aus sozialen Netzwerken flossen ebenso in das Projekt ein wie Expertengespräche, eine Medienauswertung, Masterarbeiten zum Thema und die Verkaufszahlen des Buchs.
Leinfelder fasste die Ergebnisse zusammen: Auf Facebook wurden seit der Veröffentlichung im März 2013 die Interessierten immer jünger und es kamen mehr Frauen hinzu. Die Online-Umfrage beantworteten zu zwei Dritteln Männer, mit einem Durchschnittsalter um die 50 Jahre und meist hoher formaler Bildung. Die erste Auflage des Buchs (14,95 Euro als Druckwerk und 10,95 Euro als E-Book) von 4.000 Exemplaren ist bereits vergriffen, die zweite Auflage ist im Verkauf, eine englische Ausgabe soll folgen. Zusätzlich wurde »Die große Transformation« unter anderem im März 2013 zum »Umweltbuch des Monats« der Deutschen Umweltstiftung und im Mai 2013 zum »Klima-Buchtipp des Monats« der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur gekürt.

Zielgruppe »Comicleser«

Um Schülerinnen und Schüler zu erreichen, haben die Herausgeber die Inhalte nicht nur an die Lehrpläne angepasst, sondern auch zusätzliches Material für den Unterricht erstellt. Damit einher gingen entsprechende Lehrerfortbildungen. All das basiert auf dem Konzept des Design-Thinking, wie Leinfelder ausführte. Die Rezipienten durchlaufen dabei verschiedene Phasen der Erkenntnis: Zunächst verstehen sie die Fakten, dann reichern sie sie mit eigenen Erlebnissen und Erfahrungen an. In Rollenspielen definieren sie verschiedene Sichtweisen und finden Ideen zur Problemlösung. Dann entwickeln und testen sie Prototypen, bevor sie gemeinsam die Ergebnisse vergleichen und diskutieren. »Dieses Konzept ermöglicht es, komplexe Zusammenhänge nicht nur herunterzubrechen und zu vermitteln, sondern auch, diese wirklich zu verstehen und zu erlernen«, sagte Leinfelder.

Ein »Ja!« stand auch am Ende des Vortrags: Laut Leinfelder erreicht Wissenschaft die Zielgruppe Schülerinnen und Schüler sowie viele weitere Interessierte mit der »großen Transformation«. Der Comic ermögliche als »Slow Media« die gewünschte Partizipation. Trotz des hohen
Aufwandes habe sich die Erstellung gelohnt. Nur eins wünscht er sich noch: »Es ist mehr begleitende Forschung nötig!«

Aus: Side by Side statt Top Down.- Wissenschaft im Dialog. Dokumentation des 6. Forums Wissenschaftskommunikation, 11.-13.November 2013, Karlsruhe: S. 8-9 (von Carin Lossau)
Gesamtdokumentation des Forums unter  http://www.wissenschaft-im-dialog.de/fileadmin/redakteure/dokumente/downloads/2014/Doku_FWK6_Inhalt_Web.pdf

Planen und Handeln für die Zukunft - Unterrichtsmaterialien vom BMU

Das Bundesumweltministerium hat seit Anfang des Jahres das Thema "Die Große Transformation" auf seinem Webseiten-Portal "Umwelt im Unterricht". Hier wird das WBGU-Gutachten 2011 zur Transformation ausführlich vorgestellt, aber auch auf unseren Transformationscomic und auf unsere Unterrichtsmaterialien als Ressourcen verwiesen.

"Die Welt muss dringend handeln, um für die nachfolgenden Generationen einen lebenswerten Planeten zu gestalten – so die Position vieler Fachleute, die sich mit dem Klimawandel befassen. Viele Lösungsansätze sind bereits bekannt, zum Beispiel der Umstieg auf erneuerbare Energien oder die Einigung auf internationale Klimaschutzabkommen. Doch oft stoßen Veränderungen auf Widerstand. Welche Wege gibt es hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft? Welche Rolle spielt dabei die Bildung – und wie kann der Wandel selbst zum Bildungsinhalt werden?"
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